Prototyp zur Projektwebsite “Arnold Bode und die documenta”
Das Projekt verbindet die Dokumentation und Publikation der Aktivitäten Bodes mit dem Aufbau eines graphbasierten Forschungsumfelds. Es erschließt die Netzwerke und institutionellen Hintergründe, die im Archiv der documenta abgebildet sind und die documenta zur Bode-Zeit geprägt haben. Hiermit reagiert das Projekt auf der Ebene der Forschungsergebnisse wie auch der Forschungsmethoden auf mehrere Desiderate.
Dieser Prototyp einer graphbasierten Erschließungsmodellierung zeigt am Beispiel eines Kunstwerks von Edward Kienholz auf der documenta 5 (1972) die kunst- und austellungshistorische Auswertung von Quellen im Digitalen.
Die folgenden drei Videos stellen Arbeitsweise und Möglichkeiten des Digitalen exemplarisch dar.
Transkript zu Quellenbasis und digitales Arbeiten
[Slide 1] Die Quellenbasis des Projekts „Arnold Bode und die documenta“ ist heterogen. Sie gliedert sich grob in drei Bereiche: Die Akten- und Medienbestände des documenta Archivs zu den documenta Ausstellungen Der Nachlass Arnold Bodes im documenta Archiv und Material aus externen Archiven.
[Slide 2] Die Akten- und Medienbestände zu den documenta Ausstellungen repräsentieren die Phasen der Planung, Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Kasseler Kunstschau. Hierbei handelt es sich um ca. 80.500 Einzelstücke und über 15.000 Fotografien, darunter Dias, Negative, Papier-, und Kontaktabzüge sowie audiovisuelle Medien.
[Slide 3] Der Nachlass Bode birgt etwa 9.500 Einzelstücke Aktenmaterial, mindestens 670 Zeichnungen, ca. 1.500 Fotografien, 40 Gemälde, etwa 20 dreidimensionale Objekte, u.a. von Bode entworfene Möbel sowie ca. 800 Bücher und Notizbücher. Ausgewählte Bestandsgruppen und Sammlungen in externen Archiveinrichtungen ergänzen das Bild.
[Slide 4] Die Dokumente selbst sowie auch die darin erwähnten Personen, Orte und Kunstwerke können miteinander verknüpft werden. Die Grafik stellt diese Verflechtungen beispielhaft dar. Die roten Pins und Linien verbinden Nennungen und Darstellungen des Künstlers Edward Kienholz in Fotografien und Texten. Die grünen Verbindungslinien führen Dokumente über die Stadt Kassel zusammen. Die blauen Linien wiederum verbinden Fotografien und Dokumente, die das Environment "Five Car Stud", hier auch "Objekt Kienholz" genannt, zeigen. All diese unterschiedlichen Quellen und ihre Informationen können auch digital miteinander verknüpft werden. Die technische Grundlage dafür bietet die Graphdatenbank.
[Slide 5] Bevor die Quellen in der Graphdatenbank zusammengeführt werden können, müssen die darin enthaltenen Informationen explizit gemacht werden. Diese Modellierung fußt auf zwei in den digitalen Geisteswissenschaften etablierten Standards. Für Texte wird TEI-XML verwendet, für Bildaten wird das Internatioal Image Interoperability Framework (IIIF) – kurz Triple Eye Eff – eingesetzt.
[Slide 6] Die Textdokumente werden nach ihrer grundlegenden Erfassung, soweit möglich, automatisiert transkribiert, geprüft und gemeinsam mit ihren Metadaten in TEI-XML abgebildet. Dieses Format bietet dabei die Möglichkeit, erschlossene Informationen und Referenzzeichenketten wie Personennamen strukturiert zu erschließen und explizit zu machen. Hier im Beispiel wurden Informationen zur Person Renee Nele verknüpft. Auch komplexe Informationsstrukturen wie Ereignisse, Interpretationen und Kommentierungen können abgebildet werden. Eine digitale Editionsumgebung unterstützt die Editor:innen bei ihrer Arbeit.
[Browser] Die Bildquellen und Digitalisate werden über das IIIF-Format bereitgestellt. Auf diese Weise können sie in einem Digitalisat-Viewer wie z.B. Mirador angezeigt werden. Ergänzend zum Digitalisat finden sich in der Seitenleiste auch grundlegende Metadaten zum Bildobjekt.
Darüber hinaus erlaubt der Mirador-Viewer das Anbringen und Anzeigen von Annotationen. So kann beispielsweise mittels eines eindeutigen Identifikators wie einer GND-Nummer gezeigt werden, dass es sich bei der dargestellten Person um Edward Kienholz handelt.
Weitere Kontext-Informationen, hier beschreibende Merkmale des Künstlers Kienzholz, können in der Annotation über Tags ergänzt werden.
Die Bindung von eindeutigen Identifikatoren an Pixel-Koordinaten im Bild ermöglicht das gezielte automatisierte Ausschneiden bestimmter Personen oder Situationen aus allen verfügbaren Bildern.
Als zusätzliches Feature bietet der Mirador-Viewer die Möglichkeit, mehrere Digitalisate nebeneinander zu betrachten. Über das Plus rechts oben können zusätzliche Ressourcen hinzugefügt und für die Anzeige ausgewählt werden. Daraufhin erscheint ein weiteres Fenster mit der neuen Bildquelle. Nun können beide Digitalisate parallel annotiert werden. Auch das zweite Digitalisat enthält bereits eine Annotation zu Kienholz.
Alle Annotationen werden maschinenlesbar im JSON-Format gespeichert und können heruntergeladen werden. Somit werden sie als Daten verfügbar gemacht und können in einem nächsten Schritt automatisiert in die Graphdatenbank überführt werden.
Transkript Erkunden des Wissensnetzwerks in der Graphdatenbank
Alle Dokumente, ihre Metadaten sowie ihre Texte und Annotationen werden in der Graphdatenbank Neo4j zusammengeführt. Neben den Dokumenten selbst werden unter anderem auch Informationen zu Personen, Orten und Kunstwerken erfasst.
Doch wie funktioniert die Informationsmodellierung in einer Graphdatenbank?
Die grundlegenden Bausteine eines Graphen sind Knoten, Kanten und Eigenschaften, im englischen Properties genannt.
Knoten stellen distinkte Objekte dar – etwa eine einzelne Person oder ein einzelner Brief – die über Labels einer Gruppe – bspw. der Gruppe Personen oder Briefe – zugeordnet werden.
Kanten beschreiben die Verbindungen zwischen zwei Knoten.
Über Properties können diese Knoten genauer beschrieben werden, z.B. indem ein Ortsknoten die Eigenschaft Name mit dem zugeordneten Wert Kassel erhält.
Datenbank: Schauen wir uns das am Beispiel des Künstlers Edward Kienholz genauer an. Hier sehen wir die Oberfläche der Graphdatenbank neo4j. Um Informationen aus der Datenbank zu erhalten, können mit der Abfragesprache Cypher sogenannte Queries geschrieben und ausgeführt werden. Hier sehen wir ein Query, das Informationen zu Edward Kienholz abruft. Mit dem Schlüsselwort MATCH suchen wir einen Knoten mit dem Label Person. Mit WHERE wird angegeben, dass der gefundene Knoten die Eigenschaft Name mit dem Wert Kienholz, Edward enthalten soll.
Nach unserer Abfrage wird der Knoten zurückgegeben, der den Künstler Edward Kienholz repräsentiert.
Rechts werden die Eigenschaften des Knotens angezeigt. Wir sehen, dass der Künstler ein Geburts- und Sterbedatum, eine Beschreibung und bei der Eigenschaft Occupations Verknüpfungen zu Normdaten bei der GND hat. Die hier angegebenen Zahlenfolgen stehen für die GND-Einträge der Berufe „Bildhauer“ und „Künstler“.
Über Kanten können nun einzelnen Personenknoten in Relation zueinander gesetzt werden. Wir interessieren uns dafür, mit welcher Person Kienholz in einer Partnerschaft war. Für diese Beziehung gibt es die Kante SPOUSE.
Wir erweitern die Abfrage also um eine Kante namens SPOUSE, die vom Kienholz Knoten, hier im Beispiel p1, zu einem unbekannten Knoten p2 verläuft.
Sofern diese Relation im Datenset vorhanden ist, wird sie nun zurückgegeben. Wir sehen, dass Edward Kienholz mit Lyn Kienholz verbunden ist.
Nach einem Doppel-Klick auf den Knoten von Lyn Kienholz erscheinen die Nachbarknoten, die weitere Informationen zu ihrer Person beinhalten. Die grünen Knoten enthalten Angaben dazu, welche Berufe Lyn Kienholz ausgeübt hat. Die gelben Knoten geben Aufschluss darüber, in welchen Dokumenten sie erwähnt wurde.
Bleiben wir bei den Berufen und erkunden nun die Berufstaxonomie, welche automatisiert aus der GND aggregiert wurde. Welche zusätzlichen Informationen können wir über die Tätigkeiten der beiden Künstler gewinnen? Auch dafür nutzen wir eine Abfrage per Cypher.
Wir sehen, dass in unserem Datenset Edward Kienholz sowohl mit dem Beruf Bildhauer als auch mit der übergeordneten Kategorie Künstler verbunden ist.
Lyn Kienholz ist über den Knoten Kuratorin auch mit der Berufsbezeichnung Museologin verknüpft.
Darüber hinaus werden auch gegenderte Berufsbezeichnungen in jeweils eigenen Knoten modelliert. Über die Kante RELATED stehen diese Knoten miteinander in Verbindung, wie hier beispielsweise die Berufsbezeichnungen Künstler und Künstlerin.
Mit welchen Personen sind Edward und Lyn Kienholz über ihre Berufsbezeichnungen verbunden? Mit einem leicht angepassten Query, kann auch diese Frage beantwortet werden.
Wir sehen, dass in unserem Datenset Lyn Kienholz über ihren Beruf Kuratorin mit Harald Szeemann in Verbindung steht. Edward Kienholz teilt seine Tätigkeit als Künstler unter anderem mit Yoko Ono.
Doch wie viele Künstlerinnen und Künstler gibt es überhaupt in unserem Datenset? Auch das lässt sich mit der Graphdatenbank schnell herausfinden. Denn über Cypher-Abfragen können nicht nur Knoten und Kanten, sondern auch zusammenfassende tabellarische Informationen widergegeben werden. Wir wissen nun, dass die Daten Angaben zu 205 Künstlern, 11 Künstlerinnen enthalten.
Was die Datenmodellierung im Graphen so besonders macht, ist die Möglichkeit, den Graphen Knoten für Knoten zu durchwandern, um Informationen aus verschiedenen Ebenen der Taxonomie zusammenzutragen.
Um auch wirklich alle Künstler:innen zu finden, werden nicht nur die Personen-Knoten gezählt, die direkt mit den Knoten Künstler bzw. Künstlerin verbunden sind, sondern auch alle Knoten, die über Zwischenschritte mit den Künstler-Knoten in Verbindung stehen, wie z.B. der Knoten „Bildhauer“. Zurück zum Beispiel davor: Doppelklick auf Künstler, dann auf Bildhauer
Auf ähnliche Weise werden auch Abfragen zu Dokumenten konzipiert. So können wir beispielsweise herausfinden, in welchen Dokumenten – Text oder Bild – Edward und Lyn Kienholz gemeinsam genannt werden. Sind diese Dokumente identifiziert, ist es ein Leichtes, weitere Personen ausfindig zu machen, die ebenfalls in den Dokumenten erwähnt werden. Gleiches gilt für referenzierte Fotografien oder Institutionen wie Museen, Galerien oder Veranstaltungen, die in den Dokumenten erscheinen.
Die Voraussetzung ist dafür immer, dass die entsprechenden Informationen in den Dokumenten annotiert wurden. Das Projekt „Arnold Bode und die Documenta“ basiert auf ausgefeilten Konzepten zur Datenmodellierung und -annotation, die es ermöglichen, im Graph ein vielgestaltiges Wissensnetzwerk systematisch zu erkunden und zugleich visuell anschaulich darzustellen.
Transkript zu Edward Kienholz‘ Environment Five Car Stud auf der documenta 5, 1972
[Foto Nr. 1: Kienholz] Edward Kienholz gehörte zu den führenden US-amerikanischen Künstlern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er wurde 1927 geboren und verstarb 1994. Seine Arbeiten zeichnen sich inhaltlich durch einen kritischen, ja schonungslosen Blick auf gesellschaftliche Abgründe aus. Seit den 1960er Jahren prägten die sogenannten Environments Kienholz’ Werk: Bei Environments handelt es sich um begehbare Szenerien, die unter Verwendung alltäglicher Gegenstände gestaltet werden und die Betrachtenden unmittelbar einbeziehen. Kienholz selbst verwendete dafür den Begriff „Tableau“.
[Foto Nr 2: Roxy’s] Die documenta bot Kienholz eine Plattform, um sein Schaffen in Europa bekannt zu machen. Bereits 1968 präsentierte er auf der documenta 4 sein Environment Roxy’s: Es stellt eine Bordellszene mit grotesk deformierten Figuren dar. Diese Figuren sind damit unmissverständliche Zeichen seiner Sicht auf die conditio humana.
[Foto Nr. 3: Kienholz vor Traglufthalle] 1972 war Kienholz erneut zur Teilnahme an der documenta eingeladen. Mit der Arbeit Five Car Stud konfrontierten Edward Kienholz und seine Partnerin Nancy das Kasseler Publikum mit der hässlichen Fratze des Rassismus. Five Car Stud wurde nicht in einem gewöhnlichen Museumsraum, sondern in einer eigens neben der Neuen Galerie aufgebauten Traglufthalle installiert. Diese Halle war für die Besucher:innen vollständig begehbar. Einer Reihe von Fotos und Textdokumenten beschäftigen sich mit dem Zelt als Ausstellungsort und den Planungen darum.
[Foto Nr. 5: Bode-„Collage“, siehe auch Anlage 1 des Antrags] Das documenta archiv verwahrt Briefe, Skizzen, Fotografien und andere Dokumente, die Aufschluss darüber geben, wie und unter welchen Bedingungen Kienholz’ Arbeit Five Car Stud in Kassel gezeigt wurde. Ein Beispiel ist diese Skizze aus Bild- und Textelementen: Der documenta-Gründer Arnold Bode – geboren 1900, verstorben 1977 – führte hier verschiedene Informationen und Gedanken zur Realisierung von Five Car Stud auf der documenta zusammen. Im Zentrum – dargestellt als blauer Kreis – steht das geplante Zelt, welches das „Objekt Kienholz“ aufnehmen sollte. Die handgezeichnete Karte der Umgebung kontextualisiert den Aufstellungsort des Zelts im Stadtraum Kassels. In seiner markanten Handschrift hielt Arnold Bode weitere Angaben, etwa zu den Maßen, den benötigten Materialien und den Kosten der Installation, fest.
[Foto Nr. 4: Five Car Stud Detail Farbe] Im Inneren des Zeltes bot sich den Besucher:innen ein schockierender Anblick: Auf einem von Autos umstellten Platz wird ein dunkelhäutiger Mann von seinen weißen Peinigern am Boden festgehalten und kastriert. Eine weiße Frau, die als seine Begleiterin gedeutet werden kann, sitzt in einem der Wagen und übergibt sich. Die Gesichter der Täter sind durch Halloween-Masken verdeckt, welche die Monstrosität des Geschehens unterstreichen. Eindringlich führt das Werk eine Wirklichkeit vor Augen, in der sich Menschen aus Hass ihrer Menschlichkeit entledigen. Es zeigt die unbändige Aggression derjenigen, die sich anmaßen, über andere zu richten. In seiner Thematik, seiner Drastik und seiner aufwändigen Inszenierung nahm Five Car Stud daher eine herausragende Stellung unter den Exponaten der documenta 5 ein.